Zwei Ausbilungsseminare hatte ich bereits verpasst, als ich mich mit 54 Jahren dazu entschied, mich, trotz all’ meiner bereits vorhandenen Erfahrung als Atemtherapeutin und diverser Gaps und Assistenz bei Rajan und Deva Prem, für die zweijährige Ausbildung „Living the Gestalt“ anzumelden.
Die Primärtherapie hatte ich durchlebt, so konnte es, wenn auch mit einigen Widerständen was Protokoll und Referat anbelangte, im Dezember 2015 beginnen.
Die ersten zwei Wochenenden waren ein vorsichtiges Kennenlernen der 24-köpfigen Gruppe und der vier Assistenten, ein Kennenlernen der Gesprächstherapie von Carl Rogers, in meinem Empfinden die Grundlage jeglicher therapeutischen Arbeit.
Ein Schnuppern in die Arbeit von Fritz Perls, die ersten Demositzungen in der Runde von Deva Prem und Rajan, die mich immer wieder beeindruckten, wie empathisch, wie präsent, wie auf den Punkt bringend, wie auch schwierigste Momente liebevoll begleitend sie arbeiteten. Diese Demositzungen ließen die Arbeit von Fritz Perls lebendig werden und durch sie lernte ich immens viel.
Wir übten zu zweit, wir übten zu dritt. Von Beginn an steht die Übungssituation, neben der Morgenrunde, in der jede/r von sich erzählt, von dem, was sie im Hier und Jetzt gerade bewegt, im Vordergrund. Wenn’s schwierig wurde, begleiteten die Assistenten/innen hilfreich, sie waren immer präsent, wenn wir – in welcher Form auch immer – Hilfe brauchten.
Deva Prem und Rajan und die Assisten/innen hielten den Raum der Gruppe, vermittelten die Arbeit von Fritz Perls fundiert, klar und setzten Grenzen, wenn es in der Gruppe mal zu sehr „brodelte“. Der Gruppenprozess ist Teil der Ausbildung, sicher, allzu sehr in eine Encountergruppe sollte es nicht gehen, der zeitliche Rahmen ist begrenzt. Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrung des engen zeitlichen Rahmens gibt es jetzt ein einjähriges Aufbautraining mit einem Encounter-Wochenende.
Die Woche auf Mallorca war ein besonderes Sahnehäppchen, die Gruppe wuchs tiefer zusammen, eine heikle Situation wurde gemeistert, alle kamen wieder, niemand stieg’ aus. Wir konnten nicht nur üben, üben, üben, wir konnten schwimmen gehen und wurden mit dem leckersten Essen bekocht. Mallorca wird nun Parimal, sicher nicht minder intensiv.
Hier und Jetzt und Kontakt. Wie gehe ich empathisch in den Kontakt und bleibe trotzdem bei mir, eine Grundlage der gestalttherapeutischen Arbeit. Kontakt mit mir, Kontakt mit den anderen, immer wieder, sei es im inneren Dialog, sei es im Tanzen, sei es in der Meditation. Meditation, ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung. Spiritualität, ohne sie geht es nicht, Deva Prem und Rajan leben sie, missionieren nie. Vielleicht entschieden sich gerade deshalb einige aus der Gruppe, Sanyas zu nehmen. Die Feiern waren tiefe, freudvolle Erfahrungen, es gibt keine Worte, die Liebe, die Verbundenheit in diesen Feiern zu beschreiben.
Psychodrama und Träume, Mann und Frau und auch die Gestaltgrundlagen, nie wurde es langweilig, wir lachten und weinten, wir lernten unser Anderssein zu tolerieren und spielten auf der Bühne, auf der ein Kartoffelsack und auch Gorillas uns lachende Tränen ins Gesicht trieben.
Die Neurosen wurden gelebt, erkannt und in Referaten deutlich im Unterschied zu Sigmund Freud beschrieben. Ein wichtiges Modul. Die eigenen Manipulationen zu erkennen. Wie genau mache ich es, die Verantwortung zu verschieben, nicht erwachsen und autark mein Leben zu leben? Welche Neurosen schlummern in mir, diese Erkenntnis hilft beim Begleiten der Menschen, die zu uns kommen. Zu sehen, zu fühlen, wie sie versuchen, uns zu manipulieren, sich selbst auch.
Nicht nur die ein, zwei, drei Bücher, die zu lesen ein Muss, Sollte, Kann, Darf sind, auch die Referate und Protokolle, die ließen bei manch’ einer/einem den Schweiß ausbrechen, aber sie unterstützten die gestalttherapeutischen Übungserfahrungen, und sie verdeutlichten mir Fritz Perls, seinen Hintergrund, sein Neurosenmodell und den Einfluss auf die Gestalttherapie. Sie sind für mich ein Geschenk. Fritz Perls wurde Gestalt. Intuition und Wissen konnten sich in mir verbinden.
Zu sehen und zu spüren, wie sehr sich die Gruppenteilnehmer/innen, ich mich und auch die Assistenten, auch Deva Prem und Rajan sich innerhalb der zwei Jahre veränderten, beeindruckte mich und unterstützte meine Überzeugung, dass die Gestalttherapie Fritz Perls’ mein Weg ist. Kleine Übungssequenzen (das Pendeln, Identifikation, Wahrnehmen was sich jetzt zeigt, Arbeit mit dem inneren Kind) zeigten und zeigen oft große Erkenntnisse, sei es in der Ausbildung, sei es in meiner Praxis.
Eine fundierte, lebendige Ausbildung, selten langweilig, manchmal in der langen Morgenrunde; selbst dann lernten wir: „Die Müdigkeit zeigt etwas von dem, was gerade gesprochen wird, das hat mit Dir zu tun.“
Wenn Deva Prem und Rajan in Ihrem Flyer schreiben: „Wir wünschen uns, dass unsere Absolventen belebte, beseelte, beherzte Menschen sind und jeder aus seiner individuellen Geschichte und aus seiner Lebenssituation heraus eine eigene Arbeitsweise findet und dennoch eindeutig als Gestalttherapeut zu erkennen ist.“, dann mag ich nur sagen: „Es gelingt Euch, genau dieses zu vermitteln. Ich werde meinen Weg als Gestalttherapeutin gehen, mit meinem Hintergrund, mit meiner Lebenssituation und mit der Erfahrung und dem Wissen, was ich aus der 2jährigen Ausbildung mitnehmen durfte.“
Wer diesen Weg wählt, wird durch’s Nadelöhr gehen, ein Verstecken gibt es nicht. Einmal dadurch, lebt es sich leichter, lebendiger und intensiver, ein Weg nicht nur mit dem Ziel Gestalttherapeut/in zu werden, ein Weg zu sich selbst.
Köln, 05.04.2016 Kabira I. Hesse (c)